Als amerikanischer Germanist hatte ich seit Jahrzehnten viel von der "Literarischen Quartett" gehoert, aber bis vor einigen Tagen keine einzige Folge gesehen, bis mir endlich einfiel: ach ja, of course, YouTube. Seitdem habe ich vielleicht eineinhalb dutzenden Folgen gesehen. "Das Literarische Quartett" gefaellt mir mehr, als ich erwartet hatte, was vieles damit zu tun hat, dass mir MRR als Fernsehpersoenlichkeit mehr gefaellt, als ich erwartet haette. Bis vor einigen Tagen hatte ich niemals seine Stimme gehoert, nur etliches von ihm gelesen, was mich nur maessig interessiert hatte. Vielleicht liegt es an mir, und ich bin ein besserer Leser als damals. Vielleicht war MRR im Reden und Debattieren hoeher begabt als im Schreiben.
Wie dem auch sei, die Serie war ganz MRRs Show, und eher selten, in dem was ich bisher geschaut habe, sagt er etwas, was mir bloed vorkommt: fuer Literaturkritik, bei mir, ein sehr hoher Masstab. Aber etwas irritierte mich: dass er jede Folge mit dem Brecht-Zitat "Wir sehen betroffen den Vorhang zu und all Fragen offen" endet, welch am Ende des Stueckes Der gute Mensch von Sezuan steht. Irritierend, neugierig machend, weil ich schon wusste, Dass MRR antikommunistisch eingestellt wurde, so wie sein konservative Heimat, die FAZ.
Dann aber sagte MRR etwas, was mich so ueberrascht, dass ich kaum die eignen Ohre traute: er sagte, Brecht sei kein Kommunist gewesen.
Aber ich googelte diese bizarre Behauptung, und doch, MRR hat sie wiederholt gemacht, nicht nur im "Literarischen Quartett" sondern auch in dem Fersehen-Duett, das er mit Peter Voss gemacht hat: "Lauter schwierige Patienten," dessen erste Folge ganz Brecht gewidmet wurde. Da sagte MRR nicht nur, dass er Brecht fuer den besten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts hielt. Er sagte auch:
"Ich bin ueberzeugt, dass Brecht kein Kommunist war und überhaupt kein politischer Mensch."
Dass Brecht der beste deutsche Schreiber des 20. Jahrhundetes war, darueber kann man durchaus diskutieren, die Behauptung ist, wie ich finde, gar nicht weithergeholt.
Dass Brecht kein Kommunist war, das ist absoluter, undiskutabler Bloedsinn. Vielleicht war er doch der beste deutsche Schrifsteller des 20. Jahrhundertes. Und vielleicht war er auch der allerkommunistischer. Sehr, sehr kommunistisch war er, seit den 20er Jahren.
MRR, Antikommunist, war mit der peinlichen Tatsache konfrontiert, dass dieser Schriftsteller, den er so hoch schaetzte wie sehr wenige sonst, Kommunist war. Erzkommunist sogar. Einer, dem so eine Peinlichkeit bevorsteht, haette einige intelligenten Wahlen. Er haette sich entscheiden koennen, dass nicht alles in dem Kommunismus schlecht sein koennte, denn Brecht war drin, mitten drin. Er haette sich sagen koennte, gewiss mit erheblichem Schmerz, dass dieser Schriststeller, dessen Schaffen er tief libte, trotzdem in vielem ignorant or viellecht sogar boes war.
Aber nein, MRR entschied sich, etwas zu leugnen, das ihm ganz klar vor Augen stand. Er beging den "No true Scotsman" Fehler.
Zwei Schotten sitzen auf einem Bank im Park. Der erste sieht, wie die Schlagzeile auf der Hauptseite der Zeiting, die der zweite liest, von einem horriblen Verbrechen berichtet, und sagt, "Kein Schotter haette sowas getan. Nie und nimmer!" Der andere erwidert: "Der Taeter ist festgenommen worden, der ist doch Schotte." "Nein! -- Und wie heisst dieser angebliche Schotte?" "Robert Roy Burns MacGregor VI." "Der sechste sogar!" murmelt der ganz betruebte Patriot vor sich hin; aber nur ein Augenblick lang, bevor er sich in dem Unsinn rettet: "Naja, dass mag so sein, aber kein ECHTER Schotter haette sowas getan! Nie und nimmer!" No true Scotrsman.
Und ich? Bin ich denn ein Kommunist, oder was solll das ganze? Nein, ich bin ambivalent. Wenn Du saemtliche Ausgange Deines Staats verrammeln muesst, um vorzukommen, dass Dir Dein ganzes Volk nicht weglaeuft, sieht das nicht schmeichelhaft fuer Dich aus.
Andererseits ist Kapitlismus auch sehr haesslich, und Kommunismus, der Rest, der davon bleibt, ist immer noch der schaerfste und teffendeste Kritiker der Makel des Kapitalismus.
Und so bin ich weder kommunistisch noch kapitalistisch sondern postmodern. Noch viel mehr Fragen ganz weit offen, als bei der treue Kommunist Brecht.