Friday, November 13, 2015

"Die WIRKLICHE Philosophie Des 19. Jahrhunderts" Nach Spengler

In dem Untergang des Abendlandes, DTV, 9. Auflage 1988, S 479-81, gibt Spengler eine Liste von mehreren Dutzenden Buechern, Theaterstucken, Opern und Pamphleten, die er "eine Uebersicht ueber die wirkliche Philosophie des 19. Jahrhunderts" nennt. Es ist eine sehr interessante Liste. Aber wie so sehr oft bei Spengler, obwohl etwas sehr interessant ist, fragt man sich, ob das Interessante auch ueberhapt sinnvoll ist, von tiefsinning ganz mal zu schweigen. Spengler wollte mit dem Untergang eine "Umrisse einer Morphoplogie der Weltgeschichte" schreiben. Ich denke, das ist ihm voellig mislungen, dass er aber stattdessen und unabsichterweise etwas faszinierendes schrieb, das einsam in seiner eigenen Katagorie dasteht. Spengler war ein Reaktionaer, ein Rassist und ein Wirrkopf, aber ganz anders als die allermeisten Reaktionaeren, Rassisten und Wirrkoepfe ist er gar nicht langweilig. Vorausgesetzt dass man ihn nicht ernst nimmt, enthaelt sein seltsam magum opus etliches Wertvolles.

Also, zu dieser angeblich wirklichen Philosophie des 19. Jahrhunderts: es ist weite davon, die schlechteste Auswahl von 19jahrhundertiger Schreibungen die ich je gesehen habe. Vieles davon finde auch ich ganz gut.

Fragt sich aber, wie die Authoren dieser Philosophie Spengler gefunden haetten.

Fuer jemanden wie Spengler, der die ganze Welt mit seinem Buch umfassen will, ist diese Liste kaum umfassenderweise international. Nicht nur, dass Schriften aus Nord- und Suedamerkia, Afrika, Asien und Ozeanien voellig fehlen. Dachte Spengler, dass waehrend des ganzen 19. Jahrhunderts nur in Europa (wirklich) philosophiert wurde?

Ich denke, dass er vielleicht eben das wirklich gedacht hat. Und dass in einer gewissen vergangenen Epoche nur in China, in einer anderen nur in Aegypten (wirklich) philosophiert wurde usw. So eine Art von Wirrkopf war er: er war nicht gluehend mit Hass noch triefend mit Verachtung fuer die meisten Menschen der Welt wie viele Rassisten. Er war vielmehr die Art von rassistischem Wirrkopf, der glaubte dass er in einem "europaeischen Zeitalter" lebte.

Aber immerhin: wenn ich richtig gezaehlt habe, gibt es 20 deutschspraechige Werke auf dieser Liste von angeblich wirklicher Philosophie, und dann nur 14 nichtdeutschspraechige. Das heisst: von der urspruenglichen Sprache her gezaehlt, obwohl Spengler einigen Titeln in deutscher Uebersetzung nennt. Also: 2 Werke von Schopenhauer, 1 von Proudhon, 1 von Comte, 3 von Hebbel, 1 von Feuerbach, 1 von Engles, 3 von Marx, 5 von Wagner, 5 von Ibsen, 1 von Darwin, 1 von Mill, 1 von Duehring, 3 von Nietzsche, 3 von Strindberg, 1 von Weiniger und 2 von Shaw.

Nicht nur, dass dies eine ausschliesslich europeaische Liste ist; es ist eine fast ausschliesslich germanische. Nichts auf dieser Liste von Spanien, oder Italien, oder Polen oder Russland. 32 von 34 Werken in germanischen Sprachen, und dann 2 auf Franzoesisch. Und auf Deutsch nichts von Goethe; 4 Opern und eine Pamphlete von Wagner aber nicht Faust. Und nichts von Heine. Schwer, mir vorzustellen, dass Nietzsche sich gern auf einer solchen Liste gesehen haette, nachdem er sich die Muehe gemacht hatte, mehrere Werke und zahllose Bemerkungen in den ueberigen Werken seiner Feindschaft mit Wagner zuzuwidmen, und zwar gar nicht zuletzt Wagners Mitmachens in Deutschtuemmelei und Antisemitismus wegen. Oder Proudhon, Comte, Hebbel, Feuerbach, Engles (wusste Spengler ueberhapt, dass Engles ein ganzes anti-Duehring-Buch schrieb?), Marx, Darwin. Shaw war ganz laessig wenn man ihn auf Listen setzte; er erklaerte dann und wann ruehig, warum er nicht auf dieser oder jener Liste gehoerte, schien aber gar nicht aufgeregt uber solchen Sachen zu werden. Und so muss ich an seiner statt empoert werden.

Was denkt ein so emsiger Deutschtuemmler wie Spengler, dass er hoch priest, wenn er Internationalisten wie Proudhon, Comte, Hebbel, Feuerbach, Engles, Marx, Darwin, Nietzsche und Shaw als Schoepfer einer wirklichen Philosophie lobt?

Zeigt diese merkwuerdige Liste dass Spengler gelegentlich besser als seine Nationalismus war, dass er Besserem und Tieferem gegenueber gar nicht blind und taub war?

Oder zeigt es vielleicht, dass er gelegentlich (oder staendig?) Buecher hochpries, welche er gar nicht gelesen hat, und ganz einfach aus Unwissen so tut, als haetten Marx und Nietzsche mehr mit Wagner und Duehring als mit Goethe und Heine zu tun?

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